Dienstag 20 September 2011

Die Kopftuchdebatte

Carla Amina Baghajati

           Zur Situation in Österreich

Folgender Artikel erschien in der Bunten Zeitung im Spätherbst 2003.

Die Beseitigung von Diskriminierung, dezidiert auch aus Gründen der Religion, wurde im Rahmen der EU-Gleichbehandlungsrichtlinien zum Programm, mit dem sich Politik und Gesellschaft auseinandersetzen sollten. Diversität ist inzwischen mehr als ein Schlagwort für integrationspolitisch Bewanderte, sondern findet Eingang in den politischen Programmen zumindest einiger Parteien. „Gleichberechtigter Dialog“, „gegenseitiger Respekt“ statt erduldender Toleranz, „friedliches, buntes Miteinander“ bilden das gängige Vokabular bei Absichtserklärungen zur Integration als „beidseitigem Prozess“.

Die jüngst in Deutschland durch den Fall der Lehrerin Fereshta Ludin wieder einmal voll entbrannte Kopftuchdebatte, die nun in Frankreich durch zwei wegen ihrer islamischen Bekleidung vom Unterricht ausgeschlossenen Schülerinnen ihre Fortsetzung findet, zeigt auf, dass die ehrliche Akzeptanz von Vielfalt scheint’s schnell an ihre Grenzen stößt.

Wie sonst wäre zu erklären, dass sich eine als Ikone der Frauenbewegung gepriesene deutsche Feministin in ihrer hysterischen Ablehnung des Kopftuchs in trautem Einvernehmen mit rechtskonservativen Politikern findet? Dass eine sich dem Antirassismus verpflichtet gebende linke Organisation wie die französische „SOS Racism“ (nicht zu verwechseln mit anderen, ähnlich betitelten Gruppierungen) dem Direktorium der Schule, das den Verweis für die muslimischen Mädchen aussprach, noch gratuliert?

Aber halt – da sind ja all die Gründe der Anti-Kopftuchfront, warum ein Kopftuch bestenfalls aus Gründen politischer Korrektheit für die einzelne, private Muslime geduldet wird, keinesfalls aber in öffentlichen Einrichtungen oder gar als Kleidungsstück von in Staatsdiensten stehenden Frauen zu akzeptieren wäre. Man habe sich eben klar zu distanzieren von dem „Symbol des politischen Islam“ und der damit verbundenen „Demokratiefeindlichkeit“, die die „Trennung von Religion und Staat untergrabe“, anzugehen gegen „Ungleichheit von Mann und Frau“ und „patriarchale Unterdrückungsinstrumente“.

Eine klare Sache also: Diskriminiert die Diskriminierer! Wenn die weiblichen Opfer so dumm sind, womöglich freiwillig Kopftücher zu tragen, müsse man sie eben zu ihrem Glück zwingen. Runter damit!

Und schon stecken wir mittendrin in einem exklusiven, eurozentristischen Umgang mit Werten und erleben einen missionarischen Eifer, der in imperialer Selbstherrlichkeit die eigene Weltanschauung als allein selig machend preist.

„Soll doch jede tun und lassen, was sie will und ersparen wir uns diesen ganzen Krampf!“, mag so mancher freundliche und aufgeschlossene Mensch an dieser Stelle denken, dem die Heuchelei derjenigen, die Integration sagen und Assimilation meinen, zuwider ist. Doch lohnt es sich, die Kopftuchdebatte als das zu betrachten, was sie auch und vor allem ist, ohne dass man dies wahrzunehmen scheint: Als Reibefläche, an der der Bedarf deutlich wird, sich mit der eigenen Identität, mit den eigenen Werten, nicht zuletzt mit der eigenen Geschichte, vor allem in feministischer Hinsicht, auseinander zu setzen.

Denn welche Werte sollen da eigentlich „vor dem Islam“ verteidigt werden, müsste eine Frage lauten, die aber so nicht gestellt wird. Viel leichter ist es ja zu unterstellen, am Kopftuch manifestiere sich eine nicht tragbare Gegenposition zu westlichen Wertvorstellungen, die dann keiner näheren Definition bedürfen. Bequem ist die Pose der Überlegenheit. Für eine Weile all die Probleme auszublenden, wie sie die schöne neue Welt so mit sich bringt und wie sie sonst durchaus kritisch diskutiert werden, tut gut. Kaum sind all jene, die sich so sehr über das Kopftuch entrüsten, selbstsicherer zu erleben, als wenn sie die schwierige Eigendefinition über die Abgrenzung zu den islamisch gekleideten Musliminnen vornehmen.

Laizisten, die ihre Stunde gekommen sehen, für die Verbannung alles Religiösen ins Private eine Öffentlichkeit zu finden, christliche „Verteidiger des Abendlandes“, Feministinnen, die Frustrationen über den eher stagnierenden Status quo in der Durchsetzung von Fraueninteressen loswerden, chauvinistische Machos, die sich selbstgefällig ob ihrer eigenen Frauenfreundlichkeit auf die Schulter klopfen – für viele ist die Kopftuchthematik eine willkommene Legitimation für eigene Interessen.

Zynisch könnte man anmerken, dass solchen Lobbyisten das existierende klischeehafte Bild der muslimischen Frau nur gelegen kommt. Da klingt die Bemerkung einer muslimischen Frauenrechtlerin aus Deutschland noch im Ohr, die auf die Frage, warum Frauen wie sie in den Medien nicht vorkämen, antwortete, dass dies ja am betonierten Image der unterdrückten, rechtlosen, fremdbeherrschten, ungebildeten Muslimin kratzen könnte. Die Betroffenen aus der Diskussion auszugrenzen, ist eigentlich ein Armutszeugnis für Menschen, die sich so gerne auf die Aufklärung und deren Postulat mit Mut den eigenen Verstand zu gebrauchen, berufen.

Die Kopftuchdebatte würde nicht mit solcher Emotionalität geführt, ginge es hier um das fernliegende „Fremde“. Es kann kein Zufall sein, dass um das Kopftuch just zu einem Zeitpunkt gestritten wird, als in Europa eine Wertedebatte geführt wird, ausgelöst von der Frage um eine gesamteuropäische Verfassung. Die europäische Identität in all ihren Facetten zu berücksichtigen, ist ein nicht spannungsfreier Prozess. Themen wie der Gottesbegriff in der Verfassung scheinen auch Stellvertreterscharmützel auszulösen. Das Phänomen, dass ein fehlendes „Wir-Gefühl“ durch die Konstruktion einer angeblich drohenden Gefahr erzeugt werden kann, scheint den Islam in Europa zu betreffen. Mit geschätzten 12 Millionen MuslimInnen in Europa macht er längst einen lebendigen Faktor aus, was auf Ängste stößt. Muslimischen Frauen scheint die zweifelhafte, weil mit großem Druck verbundene Ehre zuzukommen, einen wesentlichen Anteil daran nehmen zu können, wie sich Integrationsprozesse gestalten.

Welche Rolle spielt Österreich in diesem Zusammenhang? Macht sich positiv bemerkbar, dass die Beziehung zum Islam seit den Zeiten der Monarchie durch den Staat auf eine geordnete Basis gestellt wurde? Ein eigenes Islamgesetz garantiert den Muslimen seit 1912 im Rahmen des Status als anerkannte Religionsgemeinschaft das Recht auf freie und öffentliche Religionsausübung und gewährt innere Autonomie, was die Regelung der die Religion betreffenden Belange betrifft. Ein besonders entscheidender Punkt im Vergleich zu Ländern, wo dies fehlt, weil so gewährleistet wird, dass nicht über „Islamexperten“ und Gutachten aus dem Ausland die Religion staatlicherseits über die Köpfe der Anhänger der Glaubensgemeinschaft hinweg ausgelegt wird. Seitdem die Islamische Glaubensgemeinschaft 1979 als Körperschaft öffentlichen Rechts ihre Arbeit als offizielle Vertretung für die religiösen Angelegenheiten aller im Lande lebenden Muslime aufnehmen konnte, wurden sukzessive wichtige Schritte auf dem Weg zur Integration unternommen. Dazu gehören die Einführung von Islamunterricht an öffentlichen Schulen seit 1982/83 genauso wie Dialogprogramme, die mehr Information über die scheinbar so fremde Religion mit mehr Begegnungsmöglichkeiten verbinden.

Im Juni war Österreich Austragungsort für eine große europäische Konferenz, die Männer und Frauen in führenden islamischen Positionen zu einer Standortsbestimmung des Islam in Europa zusammenführte. Das Land Steiermark, die Stadt Graz und das Österreichische Außenministerium fungierten zusammen mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft als Gastgeber. Auch hier von der Initiative selbst bis zu den prominent besetzten EröffnungsrednerInnen (von Bundesministerin Dr. Ferrero Waldner bis zum Vorsitzenden des Europarats Dr. Schwinger) ein den Islam in Europa inkludierender Ansatz, der sich positiv auswirkt. Das Abschlussdokument sei allen jenen als Lektüre empfohlen, die noch immer von der angeblichen Inkompatibilität des Islam mit europäischen Werten ausgehen.

Tatsächlich ist bis auf einige wenig überraschende, eher routinemäßigen Ausritte wie jenem des in Tirol wahlkämpfenden FPÖ Politikers Tilg, der Verbotsforderungen ins Spiel brachte, das Thema in Österreich eher gelassen behandelt worden. Medienberichte hielten sich knapp oder beschränkten sich auf das Format des Gastkommentars.

Andrea Saleh, Frauenbeauftragte der Islamischen Glaubensgemeinschaft bestätigt zwar mit Erleichterung, dass die polarisierende Kopftuchdebatte aus ihrer Sicht bisher nicht wirklich auf Österreich übergeschwappt ist. Trotzdem gibt sie sich wachsam: „Wir wissen, dass rechtliche Anerkennung nicht gleichbedeutend ist mit gesellschaftlicher Akzeptanz. Manche Themen wie der Ausschluss von der Schule wegen des Kopftuchs stellen sich bei uns schon aufgrund der Rechtslage nicht. Und trotzdem mag es genug Leute geben, die sich dergleichen wünschen würden. Man lese etwa in den online Diskussionsforen diverser Medien Reaktionen auf das Thema nach.“. Ob sie Möglichkeiten sieht, mehr Verständnis aufzubauen? Offensichtlich liegt ihr dies am Herzen, denn sie redet sich in Fahrt: „ Die Situation in Österreich bietet für Musliminnen und Muslime immerhin die Chance zu partizipieren. Persönlich habe ich es oft erlebt, dass sich Vorurteile relativieren, wenn eine muslimische Frau sichtbar einen Platz in der Gesellschaft einnimmt. Darum wäre es ja so absolut kontraproduktiv, wenn man die leider bestehenden Schwierigkeiten, sobald man mit Kopftuch auf Jobsuche geht, noch dadurch verschärfte, dass auf einmal Verbotsforderungen herumgeistern. Immerhin passiert das bei uns politisch nur von Seiten der FPÖ, sonst haben wir sogar viele ermutigende Signale. Und auch dort wird das jedenfalls nach Aussagen ihrer Prominenz auch „nur“ in das Gewand eines Anpassungsgebots gekleidet.“

Wenn Andrea Saleh die Vorurteile gegen muslimische Frauen anspricht, haben die nicht auch einen wahren Kern? Die Frage kann sie nicht aus der Fassung bringen: „Das Bild hierzulande wird wesentlich bestimmt von dem, was wir in den Medien an Auslandsberichterstattung mitbekommen. Ja glauben Sie denn, dass wir zufrieden sind, wie sich die Frauenrechtslage in Afghanistan darstellt? Da haben wir mit unseren bescheidenen Mitteln schon lange vor dem Afghanistankrieg zu intervenieren versucht. Im Falle der von Steinigung bedrohten Amina Lawal aus Nigeria hat die Glaubensgemeinschaft durch Präsident Schakfeh mehrfach direkte Gespräche mit den Höchstrichtern geführt und so Anteil am letztlich glücklichen Ausgang gehabt. Der Islam kennt eine große Zahl von sehr konkreten Frauenrechten und tritt selbstverständlich für die Gleichwertigkeit von Mann und Frau ein. Hier setze ich in meiner Arbeit an. Muslimische Frauen sollen ihren Platz in der Gesellschaft beanspruchen und diese mitbestimmen. Darum noch einmal: Ausgrenzung unter dem Titel: „Das muslimische Frauenbild passt nicht zu uns.“, ist diskriminierend, geht besserwisserisch an der islamischen Lehre vorbei, würde am Ende gar Ghettoisierung mit sich bringen und damit die Stereotypen zementieren.“

Wir stecken mitten drin im Kopftuchthema und doch hält sich die islamische Frauenbeauftragte was das Kleidungsstück an sich betrifft, auffällig zurück. Absichtlich, wie sie betont. „Wir wollen vermeiden, dass die Emotionalität, mit der dieser schlichte Teil der Glaubenspraxis in den Vordergrund gestellt wird, weiter Platz greift, auch nicht unter Musliminnen, wo oft innerhalb der gleichen Familie die einen das Tuch tragen, die anderen nicht. Das Kopftuch macht doch nicht den Islam aus, ist doch kein Symbol! Wir treten für das Selbstbestimmungsrecht der Frauen ein. Zwang darf es nicht geben. Und ja, wir Frauen wollen weiter für unsere berechtigten Interessen eintreten. Das geht nur solidarisch und Gräben zwischen Musliminnen mit und ohne Kopftuch wären das letzte, was wir brauchen.“

Magistra Gülmihri Aytac ist Religionslehrerin an Gymnasien und unterrichtet dort Mädchen und Burschen der Oberstufen. Ein Drittel der Schülerinnen trägt Kopftuch. Im Unterricht spielt das eigentlich keine Rolle, denn man beschäftigt sich mit anderen Themen, aktuell der Freizeitgestaltung im Islam. „Nah am Leben“, möchte sie ihren Unterricht gestalten, und zum selbständigen Denken anregen. Das scheint anzukommen, denn die Kontakte bleiben oft aufrecht, wenn aus Schülerinnen längst Studentinnen geworden sind. Nach dem Unterricht suchen die jungen Mädchen öfter das vertrauliche Gespräch. Und dann geht es manchmal doch wieder ums Kopftuch und die Ressentiments die ihnen auch an der Schule mitunter entgegenschlagen. Mit den Schulkolleginnen gäbe es keine Probleme, wohl aber mit wohlmeinenden Lehrerinnen, die gegen die Vorzugsschülerinnen so ihre Seitenhiebe fallen lassen, wenn der Unterrichtsstoff sich mit Frauenbildern im Wandel beschäftigt oder gar der Islam direkt berührt wird. Die Mädchen kränken sich, dass man sie als rückständlerisch einstuft. Eine Lehrerin habe einmal versucht, ein Mädchen vor der Klasse wegen ihres Kopftuches bloßzustellen, woraufhin aber die Klassengemeinschaft für die junge Muslimin einsprang und ihre Entscheidungsfreiheit verteidigte.

Frau Aytac macht sich Hoffnung, dass aus diesen selbstbewussten und gebildeten Mädchen eine neue Generation entsteht, die endlich auch von der Ausbildung her in der Lage ist, Positionen einzunehmen, die den Dialog mit der Gesellschaft weiterbringen. Sie denkt dabei an die speziellen Kompetenzen, die diese Gruppe auszeichnet, Brücken bauen zu können. „Wenn sie sich nur nicht gleich entmutigen lassen, wenn’s nicht gleich bei der ersten Bewerbung klappt oder sie sich Komplexe einreden, dass sie eh’ nicht wie andere zum Zuge kämen“, ist ihre Sorge. Als gebürtige Türkin macht sie betroffen, dass Menschen aus diesem Ursprungsland noch immer gegen das Gastarbeiterklischee und die damit verbundenen Stereotypen niedrige soziale Schicht ankämpfen müssen

Die Leiterin der Islamischen Fachschule für soziale Berufe in der Wiener Neustiftgasse weiß darum, wie schwierig es junge Migrantinnen der zweiten und dritten Generation oft haben. An ihrer Schule findet sich weniger die kleine „Elite“, mit der es Frau Mag.a Aytac vorwiegend zu tun hat, als SchülerInnen aus eher einfachen Verhältnissen, wo die Eltern wegen mangelnder Deutschkenntnisse oft nicht in der Lage sind, bei den Hausaufgaben mitzuhelfen oder den Schulweg aktiv zu begleiten. Dieser Nachteil schlägt sich im schulischen Erfolg nieder. Im zweiten Jahrgang des Bestehens konnte Frau Mag.a Zeyneb Elibol gar nicht alle Aufnahmewünsche berücksichtigen. Sie berichtet: „Wir wollen gerade jene jungen Menschen ansprechen, die nach der Pflichtschulzeit nicht recht wissen, wie es weiter gehen soll. Bei Mädchen heißt es dann leider noch immer gar nicht so selten, dass sie keine weitere Bildung nötig hätten, weil sie sowieso bald heiraten würden. Dagegen propagieren wir eine solide Weiterbildung, die später viele Türen öffnet und den Prozess zur Mündigkeit und Partizipation in der Gesellschaft fördert, damit sie sich auch ihre eigene Meinung bilden und diese äußern können."

Die meisten der Mädchen tragen den Kopf bedeckt – farbenprächtige Turbanvarianten, Kappen, kunstvoll drapierte Tücher. Dazwischen einige Mädchen „ohne“. Den Ramadanbeginn haben sich einige zum Anlass genommen, es mit dem Kopftuch neu zu versuchen. Das Gespräch kommt in Schwung, als Neslihan Erdinc dazustößt, denn sie muss sich ihre schlechte Erfahrung mit dem Fernsehen von der Seele reden. Gestern war ein Kopftuchbericht in der Sendung „Report“ ausgestrahlt worden, zu dem sie interviewt worden war. „Total geschnitten haben sie das wichtigste! Ich erklär’, dass es mir auf meine Persönlichkeit ankommt und die schneiden mir das Wort ab, so dass nur von dem Kopftuch als meiner Identität die Rede ist, was so ja keiner verstehen wird.“ Sie kommt sich benutzt vor, denn ihr scheint, dass man ihre verfremdete Aussage in die fertig konzipierte Geschichte einfach einbaute. „Und wir Musliminnen kamen gar nicht richtig vor!“ Medienarbeit fasziniert sie aber weiterhin. Sie ist Chefredakteurin der SchülerInnenzeitung und hat sich ein Ziel gesetzt: „Warum tut man immer so, als könnten Frauen mit Kopftuch nicht modern sein? Ich möchte das Gegenteil beweisen!“

Wo kauft eine Muslimin in Wien ihr Gewand ein? Nesli Avci betreibt die kleine Boutique „Merve“ in der Brunnengasse 66. Ihr Geschäft ist immer voll. Denn bei ihr ist frau auch nur zum Tratschen willkommen. Sie hat sich den Ruf erworben, eine gute Beraterin nicht nur in Modefragen zu sein. Weiß sie nicht weiter, kennt sie gleich diese oder jene „Schwester“, wie sich die muslimischen Frauen untereinander nennen, die vielleicht weiterhelfen kann. Das kleine Netzwerk funktioniert auch als Infostelle. Auf Anfrage gibt’s Auskunft über das Datum des nächsten Frauenschwimmens speziell für Musliminnen im Jörgerbad.

Wie sieht sie die Auswirkungen auf die Stimmung unter den Frauen? Geht der Verkauf etwa zurück? Sie bejaht, um sofort einen überraschenden Grund zu nennen: „Nicht etwa, weil die allgemeine Nachfrage nach islamischer Mode stockt. Der C&A und H&M nehmen mir Kundinnen weg. Die haben wohl erkannt, was für ein Markt da liegt. Haben Sie nicht gemerkt, wie tragbar diese weiten Hosen, orientalischen langen Oberteile oder langen Kleider für uns sind? Früher hätte man im Sommer nirgendwo in den Kaufhäusern etwas Langärmeliges gefunden. Da, diese Sorte Kopftücher haben sie auch schon im Sortiment.“

Ob sie Diskussionen um das Kopftuch miterlebt? „Ja, mit den Frauen, die als Touristinnen in den Iran fahren. Viele sind sehr nett, voller Vorfreude und haben Spaß am Ausprobieren neuer Sachen. Manchmal aber reagiert sich eine ihren Frust an mir ab, dass sie dort den Kopf bedecken soll und fragt, warum wir die „Fetzen“ tragen. Das beweist mir, dass es keinen Zwang geben soll. Das bringt nichts als negative Stimmung und Aggression. Ich kann ihr dann nur erklären, dass ich persönlich sie bestimmt nicht zwingen würde, genauso wenig wie die Leute, die ich kenne.“

Die selbstbewusste Geschäftsfrau hat sichtlich Spaß am Umgang mit Menschen. Darin sieht sie auch eine Chance, um im Alltag für ein besseres Miteinander zu sorgen und zu zeigen, dass ein Kopftuch nicht gleichbedeutend mit Abkapselung ist. Dass die Frauen mit Kopftuch erst einmal auffallen, ist für sie aber auch eine zweischneidige Sache. Sie berichtet davon, wie sie sich ärgert, wenn andere islamisch Gekleidete sich irgendwie negativ benehmen, etwa in der Straßenbahn zu laut in fremder Sprache reden. An den Blicken und getuschelten Bemerkungen der anderen glaubt sie abzulesen, dass jede irgendwie „ungute Sache“ gleich auf den Islam umgemünzt wird. Das sei schon ein permanenter Druck, immer zu denken: „So wie ich jetzt handle, so denken sie über den Islam.“

Auch Maha Saedaddin liegt daran, dass mehr gegenseitiges Verständnis aufgebaut wird. Seit Jahren gibt sie Kurse an der VHS – arabische Küche, orientalische Schönheitsgeheimnisse und Arabischunterricht. Neulich ist sie gefragt worden, wie das komme, dass sie den Ramadan halte und kein Kopftuch aufhabe. Da habe sie geantwortet, dass Gott sie nach allem, was zur Religion gehöre, fragen werde – aber das Kopftuch sei eben nur eine Sache. Sie ist der Meinung, dass sie ohne Kopftuch leichter Zugang zu den Menschen finde, denn diese Kleidung sei für sie schon eine gewisse Barriere. So fragt sie sich, ob sie ihren Job mit Tuch überhaupt so problemlos ausüben könnte? Ausländerfeindlichkeit ist ihr auch ohne dass sie noch dazu besondere Kleidung trug, immer wieder begegnet.

Sie empfindet sich als religiös und besucht jeden Freitagvormittag eine Frauenrunde, die von einer Scheicha, also einer islamischen Gelehrten, in theologischen Dingen unterrichtet wird. Dort ist sie, unabhängig davon ob islamisch gekleidet oder nicht, willkommen und man hört ihr gerne zu, wenn sie von ihrer Arbeit erzählt. Neuerdings hält sie „Willkommenskurse“ der Stadt Wien auf Arabisch für Migrantinnen als Orientierungsfaden für ihr Leben in Österreich und lädt die Frauen aus der Runde dazu ein. Bei aller Herzlichkeit ihr gegenüber spürt sie doch, dass viele sich wünschen würden, sie könnte sich entschließen, Kopftuch zu tragen.

Während sie den Ressentiments der ÖsterreicherInnen gegenüber dem Kopftuch bei ihrer Entscheidung, keines zu tragen viel Gewicht gibt, ist eine junge Studentin aus der Türkei begeistert über die Möglichkeit in Österreich ganz ohne Probleme auf die Uni gehen zu können. Auch wenn ihr der Abschied von der Familie schwer gefallen ist, hat sie es vorgezogen, ihr Studium hier fortzusetzen, denn das Kopftuchverbot im öffentlichen Raum in ihrer Heimat schloss sie vom Studium aus. Die Diskussion hier verfolgt sie gespannt und hofft, dass die Vernunft siegen wird. „Abgesehen davon, dass es einfach unfair und zynisch ist, muslimische Frauen aus dem Bildungsbereich auszuschließen, bringen Verbote eine Polarisierung, die gefährlich für den sozialen Frieden ist. In der Türkei sieht man, wie sich alles aufschaukelt, wenn der unbedeckte Kopf der Frau Teil der Staatsideologie wird. Da gibt’s die absurdesten Geschichten von Einladungskarten für offizielle Anlässe in drei Textvariationen, damit ja nur die kopftuchlosen Ehefrauen der Politiker hereindürfen.“

In Wien dagegen lädt Bürgermeister Dr. Michael Häupl nun schon im zweiten Jahr MuslimInnen im Ramadan zu einem gemeinsamen Fastenbrechen in den Rathauskeller ein. Frauen mit Kopftuch sitzen ganz selbstverständlich mit ihm und Stadträtin Mag.a Renate Brauner an einem Tisch, und es entwickelt sich ein angeregtes Gespräch. Mitreden und Mitgestalten von Musliminnen zu fördern – dafür setzt sich auch Maria Vassilakou ein. Bei einem StadtexpertInnengespräch brachte sie etwa potentielle Arbeitgeber wie die Wiener Linien mit Musliminnen und Sikhs zusammen, um auszuloten, ob Beschäftigung auch mit der jeweils von der Religion vorgesehenen Kopfbedeckung möglich wäre. Ergebnis für die Musliminnen: Wenn das Kapperl über das Kopftuch gezogen wird – kein Problem, sind solche Bewerberinnen willkommen.

In Österreich lässt sich an vielen Details die Richtigkeit des Mottos „Partizipation bringt Integration“ ablesen, vor allem dort, wo man sich gegenseitig aufeinander zubewegt. Islamophobie, allgemeine Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängende Ausgrenzungsmechanismen sollen keinesfalls heruntergespielt werden. Und doch bietet die gesetzliche Grundlage für MuslimInnen mit dem Anerkennungsstatus Rahmenbedingungen, die Integration fördern. Nicht umsonst holen sich deutsche Behörden immer wieder Informationen über den Islam in Österreich. Know how wird exportiert. Ein Grund mehr, sich umgekehrt nicht die dortigen Probleme zu importieren.

 

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